Expert*innenkommentarzum Medium
Titel | Interkulturelle Präventionsarbeit mit Eltern und Kindern zum Schutz vor sexualisierter Gewalt |
Autor*in o. Projektleitung | Blonski, Angela |
Herausgeber*in o. Institution | Lilith-Beratungsstelle für Mädchen und Jungen zum Schutz vor sexueller Gewalt; Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg |
Erscheinungsjahr o. Auflage | 2015 |
Umfang | 74 Seiten (größtenteils Bilder) |
Land | Deutschland |
Verlag | mehrsprachige Kopiervorlagen/Bildkarten |
ISBN | 3834604313 |
Bestellmöglichkeit | Lilith-Beratungsstelle |
Preis | 12 Euro zuzüglich 5 Euro für den Versand |
Medienformat/Format | Begleitmaterial zur Inhouse-Schulung |
Angegebene Altersempfehlung | 3-8 Jahre |
Inhaltliche Beschreibung
Das Material „Interkulturelle Präventionsarbeit mit Eltern und Kindern zum Schutz vor sexualisierter Gewalt“ wendet sich an Fachkräfte in Kindertagesstätten, Schulen, Beratungsstellen etc., die mit Eltern mit Migrationshintergrund sowie Kindern im Alter von 3-8 Jahren thematisch zur Prävention von sexualisierter Gewalt arbeiten möchten.
Die Arbeitsmappe enthält ca. 60 Bildkarten zu den Themen „Erkennen und Wahrnehmen von Gefühlen“, „Den eigenen Körper kennen / Körperteile benennen“, „Grenzverletzungen“, „Selbstbehauptung“ sowie „Hilfe holen“.
Die Bildkarten sind für den direkten Einsatz in der interkulturellen Arbeit sowohl mit Eltern als auch mit Kindern konzipiert. Alle Bildmotive sind ergänzt mit Impulsfragen in den vier Sprachen Deutsch, Russisch, Türkisch und Arabisch.
Auf den Bildkarten werden Alltagssituationen von Mädchen und Jungen aufgegriffen, in denen Gefühle wie Freude, Angst, Wut/Ärger oder Traurigkeit sowie unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten (Gefühl ausdrücken, Unterstützung durch Gleichaltrige, Unterstützung durch eine erwachsene Person) dargestellt werden. Zudem ist in den Zeichnungen explizit Raum für Ideen für weitere Handlungsoptionen eingebaut.
Für die Fachkräfte enthält die Arbeitsmappe Erläuterungen zu Standards der Präventionsarbeit mit Eltern in interkulturellen Kontexten (Differenzsensibilität, Wertschätzung, Achtsamkeit). Die Einsatzmöglichkeiten der Bildkarten mit Eltern und Kindern werden in einer kurzen allgemeinen Einleitung und Erläuterungen zu den einzelnen Motiven dargestellt. Literaturempfehlungen zum Thema schließen das Begleitmaterial ab.
Expert*innenkommentar zur Eignung des Materials für die primärpräventive Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
Das vorliegende Material eignet sich für Kinder mit und ohne Migrationshintergrund, insbesondere im Kindergartenalter, vor allem dann, wenn die Eltern im Rahmen einer Elterngruppe ebenfalls einbezogen sind.
Die liebevoll gestalteten Illustrationen animieren zum Hinschauen. Die Viersprachigkeit der Arbeitsblätter ist außergewöhnlich und für die spezielle Zielgruppe gut geeignet. Die Motive der Bildkarten sind im Hinblick auf die Auswahl der Situationen und durch die kindgerechten Illustrationen angemessen und anregend für die vorgeschlagene Altersgruppe. Mädchen und Jungen können sich mit den dargestellten Figuren identifizieren und die verschiedenen Möglichkeiten des Umgangs mit den Situationen nachvollziehen.
Die dargestellten Kinderfiguren (zwei Jungen und zwei Mädchen) bieten durch ihre Namen ein Identifikationsangebot für unterschiedliche kulturelle Kontexte. Gleiches gilt für die dargestellten Situationen, darunter Spielsituationen unter Kindern, Arztbesuch, Schwimmbad, Familienalltag. Stereotype Geschlechterzuschreibungen wurden vermieden. Die dargestellten Situationen und der Umgang damit werden jeweils mit einem Mädchen und einem Jungen dargestellt.
Mimik und Körpersprache der Figuren sind präzise und eindeutig. Die klare Struktur der vorgeschlagenen Reaktionsmöglichkeiten und die wiederkehrende Option, eigene weitere Handlungsoptionen einzubringen, laden zur vertieften Beschäftigung mit dem Inhalt ein. Angemessen und sinnvoll für die Altersgruppe ist zusätzlich die Möglichkeit, sich spielerisch mit den Figuren und Szenen zu beschäftigen, indem jeweils eine Miniatur der Szenen selbst ausgemalt werden kann. Offen bleibt, wieso bei der Einführung der Figuren ein Hund vorkommt, der an keiner Stelle des Materials eine Rolle spielt.
Eltern aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten finden mit dem Material einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema: Die Impulsfragen sind kurz und prägnant, die durchgängige Viersprachigkeit der Bildunterschriften und die Strukturierung der Handlungsmöglichkeiten vermitteln konkrete Orientierungen für den Erziehungsalltag und bieten Anregungen zum weiterem Austausch über die vorgestellten Themen. Im Hinblick auf unterschiedliche Schamgrenzen in Bezug auf Nacktheit bietet das Material die Möglichkeit, Bildmotive einzusetzen, die die Begriffe Po/Penis/Scheide beinhalten, ohne sie zu visualisieren. Auch diese Lösung dürfte die Einsatzmöglichkeiten des Materials für unterschiedliche und heterogene Gruppen von Eltern erleichtern.
Inhaltlich fokussiert die Arbeitsmappe die Themen Umgang mit Gefühlen, Benennen von Körperteilen und körperliche Grenzverletzungen. Grenzverletzungen werden als aufgedrängter Kuss durch ein anderes Kind und erzwungenes Auf-dem-Schoss-sitzen bei einer Erwachsenen dargestellt. Beide Situationen vermitteln keine massive Bedrohlichkeit und sind für Kinder dieser Altersgruppe wie für Eltern ein niedrigschwelliges, nachvollziehbares Thema. Geschlechter- und kultursensibel werden typische (z.T. Problem-) Situationen von Kindern (Verletzung am Knie, Zerstörung einer selbstgebauten Sandburg, heruntergefallene Eiskugel, von anderem Jungen geklaute Kappe, Angst vor der Spritze, Besuch der Oma, Angst vor einem Hund, Radfahren können, Umkleiden im Schwimmbad, Eincremen mit Sonnenmilch, Duschen und Baden) beschrieben und illustriert. Die Betrachter*innen erhalten Lösungsvorschläge, können jedoch auch selbst eine Lösung vorschlagen.
Sehr positiv ist, dass das Thema „Hilfe holen“ in verschiedenen Varianten vorkommt, denn das ist eine wichtige alterstypische Fragestellung und Entwicklungsaufgabe. Das Material lädt Kinder ein, sich mit Gefühlen, Hilfe holen, dem eigenen Körper und kleinen Grenzverletzungen auseinander zu setzen. Es vermittelt, dass Kinder unterschiedlich reagieren (dürfen), und dass es in Ordnung ist, Grenzen zu setzen und Hilfe zu benötigen.
Die Autorinnen selbst empfehlen den Einsatz der Materialien in Kitas, Schulen, Beratungsstellen, in der Behindertenhilfe und in der Sozialpädagogischen Familienhilfe sowie für Fort- und Weiterbildung.
Im Hinblick darauf wäre eine Ergänzung des Materials mit konkreten Hinweisen zum Setting, zur Gesprächsmoderation etc. wünschenswert. Fachkräfte, die bislang noch nicht zum Thema gearbeitet haben, könnten eine Schulung (Basiswissen zu sexualisierter Gewalt, Arbeit zum Thema im interkulturellen Kontext) benötigen. Für in Präventionsarbeit zu sexualisierter Gewalt erfahrene Fachkräfte ist das Material jedoch ohne weiteres einsetzbar.
Hervorzuheben ist die Qualität der Zeichnungen und der Charme der dargestellten Figuren – sie sind sicherlich ein sehr wichtiger Faktor für alle Zielgruppen, sich auf das Material und das Thema einzulassen.
Informationen zum Kommentar
Die Inhaltsangaben und Expert*innenkommentare wurden von Tandems, bestehend aus Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis, vor dem Hintergrund ihrer fachlichen Perspektive vorgenommen und vom Forschungsteam redaktionell überarbeitet. mehr
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Empowerment ist ein bedeutsamer Ansatz, allerdings dürfen dabei reale Machtverhältnisse nicht ausgeblendet werden. Es besteht eine Diskrepanz zwischen subjektiv gestärkter Vorstellung von Selbstbestimmung und Wirkmächtigkeit auf der einen und realer Ohnmacht gegenüber Gewalthandlungen von Täter*innen auf der anderen Seite. Dies kann die Selbstzuschreibung von Verantwortung für die Tat und Schuldgefühle bei Opfern sexualisierter Gewalt massiv verstärken.