Dipl.-Päd. Brigitte Hahn
Brigitte Hahn ist Diplom Pädagogin, Supervisorin und Gruppenanalytikerin. Sie arbeitet im Bischöflichen Generalvikariat in der Fachstelle für Sekten-und Weltanschauungsfragen in Münster.
Mehr erfahrenVerfasst von Brigitte Hahn, Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen des Bistums Münster
Als Rituelle Gewalt bezeichne ich planmäßige und systematische sexuelle, körperliche und psychische Gewaltausübung, bis hin zu Tötungen, im Kontext einer Ideologie/Weltanschauung.
Meine erste Begegnung mit dem Thema „Rituelle Gewalt“ war im Jahr 2000. Eine Ratsuchende berichtete mir von ihrer Kindheit und Jugendzeit, die geprägt war von extremer Gewalt, permanenten sexuellen Übergriffen und rituellen Tötungen.
Es folgten weitere Beratungen, vorwiegend von Frauen, die von Sekten berichteten, die an Satan glauben und im Verborgenen ein System von absoluter Abhängigkeit und Geheimhaltung etabliert haben.
Viele Ratsuchende wurden in die Sekte „hineingeboren“. Darüber hinaus berichteten mir Aussteigerinnen, dass sie als Kinder, über Verwandte oder Bekannte in die Sekte hineingezogen worden sind. Den Kindern wurde suggeriert, sie seien Kinder Satans.
Sexueller Missbrauch, Misshandlungen und Tötungen wurden mit dem Willen Satans gerechtfertigt. Den Kindern wurde gesagt, dass Schmerzen dazu gehören, dass sie über den sexuellen Missbrauch zum Kind bzw. zur Braut Satans werden, dass rituelle Tötungen von Satan verlangt werden.
Es wird berichtet, dass diese Sekten viel Geld mit Kinderprostitution, Kinder- und Menschenhandel und vielen illegalen Geschäften verdienen.
Aus meiner Sicht ist es das Ziel der Satanisten, die christlich –demokratische Grundordnung zu zerstören und ein Reich Satans zu errichten.
Satanistischen Sekten gelingt es, nach außen eine bürgerliche Existenz vorzutäuschen und gleichzeitig innerhalb der Sekte schwerste Straftaten zu begehen. Die Menschen leben in zwei Welten. Die Kinder dieser Sekten lernen sehr früh, sich einerseits in unserer Welt angepasst zu verhalten und andererseits den Regeln der Sekten zu folgen. Ein effektiver Schutzmechanismus für die Sekte ist das absolute Schweigegebot aller Mitglieder. Unter Androhung extremster Strafen und Tötungen wird das Schweigegebot installiert und aufrecht erhalten. Darüber hinaus werden die Kinder systematisch verwirrt und mit falschen Informationen versorgt.
Beispiele:
Bereits 1998 hat sich die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" mit Ritueller Gewalt beschäftigen müssen. "Allerdings werden mit okkulten satanistischen Gruppierungen immer wieder drastische Formen von Kindesmißhandlung, Kindesmißbrauch und Kindestötungen in Zusammenhang gebracht. Über diese als 'ritueller Mißbrauch' bezeichnete Formen, liegen inzwischen einige Erfahrungs- und Betroffenenberichte sowie journalistische Recherchen vor" (Endbericht der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" 5/98 S.184).
Die Kommission weist auf die gespaltene Datenlage hin: Einerseits drastische Berichte über Rituelle Gewalt und andererseits keine polizeilichen Erkenntnisse. Obwohl es keine polizeilichen Erkenntnisse gibt, kommt die Kommission zu dem Ergebnis: "Von der Existenz solcher Kulte ist jedoch auszugehen"(S.188 Endbericht "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" 1998) Es werden Fortbildungen und Forschungen zu diesem Thema empfohlen.
Dreizehn Jahre später muss das Thema erneut auf Bundesebene aufgegriffen werden : denn "in Anrufen und Briefen in der Anlaufstelle der Unabhängigen Beauftragten haben Betroffene mehrfach von ritueller Gewalt berichtet. Die Berichte sind erschütternd in Ausmaß und Dimension, da die meisten Betroffenen bereits in sehr frühem Kindesalter vielfach und jahrelang durch verschiedene Täter und Täterinnen - zum Teil höchst sadistisch und/oder mit kultischem und/oder satanistischem Hintergrund missbraucht und hierfür regelrecht "umprogrammiert" worden sind."
"Ein Blick in die vorhandene Forschung zu ritueller Gewalt zeigt, dass es weder eine einheitliche Definition gibt noch einheitliche Standards zur Phänomenerfassung vorhanden sind. Rituelle Gewalt ist noch stärker als sexueller Missbrauch in der Gesellschaft tabuisiert. Der defizitäre Wissensstand der Forschung erschwert Arbeit und Diskussion des Themas."
"Betroffene sexuellen Missbrauchs sollen sich trauen, etwas zu sagen Sie sollen merken, dass es trotz Programmierung nicht verboten ist, darüber zu sprechen."
"Vor diesem Hintergrund sind Bestandsaufnahmen zur Thematik rituelle Gewalt, bezogen auf Folgeerscheinungen und die Versorgungssituation in Deutschland, und zur Qualität der Beratung, Begleitung und Behandlung aus Sicht Betroffener und aus therapeutischer und medizinischer Sicht erforderlich. Die Entwicklung spezifischer, interdisziplinärer Unterstützungskonzepte wäre ebenso wünschenswert wie die Erstellung von berufsgruppenspezifischen Informations- und Fortbildungsmaterialien"
(Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten, 24.05.2011 Dr. Christine Bergmann S.221-223.
Die Opfer Ritueller Gewalt haben seit Anbeginn ihres Lebens gelernt zu schweigen bzw. nur dann zu sprechen, wenn es ihnen von den Sektenmitgliedern erlaubt wird. Das Leben in zwei Welten und die vielen inneren Persönlichkeitsanteile halten sie selbst für normal, da sie nichts anderes kennen gelernt haben. Wenn sie erwachsen sind, erleben sie allerdings häufig Verständigungsschwierigkeiten. Besonders schwierig wird es für Opfer Ritueller Gewalt, wenn sie aufgrund von Krankheit in unser Gesundheitssystem kommen. Die Opfer berichten immer wieder von vielen Missverständnissen und fehlender adäquater Hilfe. Wir gehen davon aus, dass Menschen sich über ihren Zustand und über ihre Erfahrungen äußern können und sind enttäuscht, wenn scheinbar "verstockte" Menschen vor uns sitzen. Das extreme Schweigegebot ist bewusst in das Gehirn der Opfer eingebrannt worden, um die Täter zu schützen.
Deshalb sind wir auf eine andere Art der Kommunikation angewiesen: Die Opfer sprechen mit uns über ihre Symptome:
Erst eine lange therapeutische Beziehung ermöglicht, das Unfassbare in Worte zu fasse.
Alle gesellschaftlichen Bereiche sind von den Machenschaften der satanistischen Sekten bedroht. Deshalb sind alle gefordert diesen Berichten Raum zu geben und Gegenmaßnahmen zu ergreifen.
Dringend erforderlich sind wissenschaftliche Forschungen, um solide Daten und Fakten zu ermitteln. Darüber hinaus ist es aufgrund der geringen Anzeigebereitschaft von Opfern notwendig, die berichteten Taten im Bereich der Holkriminalität/Initiativermittlungen anzusiedeln.
Für die Opfer ist es wichtig, zuzuhören, die Symptome zu entschlüsseln und umfangreiche Unterstützung anzubieten.
Endbericht der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" 5/98
Abschlussbericht der Unabhängigen Beauftragten, 24.05.2011 Dr. Christine Bergmann
Breitenbach, Gaby: Innenansichten dissoziativer Welten extremer Gewalt, Asanger Verlag 2011.
Christiansen, Ingolf: Satanismus, Gütersloh 2000.
Fromm, Rainer, Satanismus in Deutschland, 2003.
Fliß, Claudia; Igney, Claudia: Handbuch Rituelle Gewalt. Lengerich 2010.
Fröhling, Ulla: Vater unser in der Hölle. Bergisch Gladbach 2008.
Grandt, Guido und Michael: Schwarzbuch Satanismus.
Huber, Michaela: Der Feind im Innern. Paderborn 2013.
Huber, Michaela, Multiple Persönlichkeiten, Paderborn 2010.
Huber, Michaela (Hrsg.): Viele sein. Ein Handbuch. Paderborn 2011.
Hayden, Torey L., Jadie: Das Mädchen das nicht sprechen wollte. München 1991.
Jäckel, Karin Isis: Die Fürstin der Nacht. Als Kind in den Fängen einer satanistischen Sekte. Bergisch Gladbach 2003.
Jahnes, Ines: Initiativermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität, Frankfurt a. M. 2010. Gallwitz, Adolf; Grünkram, Paulus Manfred: Die Kinder Sex Mafia in Deutschland, Hilden 1998.
Miller, Alison: Healing the Unimaginable, Treating Ritual Abuse und Mind Control, London 2012.
Smith, Margaret: Gewalt und sexueller Missbrauch in Sekten. Zürich 1994.
Vogt, Ralf: Täterintrojekte. Asanger Verlag 2012.
Zeitschrift für Psychotraumatologie, Psychotherapiewissenschaft, psychologische Medizin, Themenschwerpunkt Rituelle Gewalt, Heft 4, 2010, Asanger Verlag.
Wildwasser Bielefeld e.V.(Hrsg.): Der aufgestörte Blick, Multiple Persönlichkeiten, Frauenbewegung und Gewalt. Bielefeld 1997.
Tagungsdokumentation: Rituelle Gewalt. Vom Erkennen zum Handeln 6.11.2009 Trier, Lengerich 2011.
Hahn, Brigitte (Hrsg.) (2014): Rituelle Gewalt - das (Un)heimliche unter uns. Eine ausführliche Rezension von Prof. Dr. Herbert Ulonska zum Buch finden Sie hier
Rituelle Gewalt, destruktive Kulte, organisierte sexuelle Ausbeutung von Kindern. Ein Gespräch mit Traumaexpertin Michaela Huber über Folgen und nötige Hilfen für Opfer - und Täter. zum Artikel
Die Fachstelle für Sekten- und Weltanschauungsfragen des Bistums Münster informiert über religiöse Gruppen oder Psychogruppen und bietet Rat und Hilfe bei direkter oder indirekter Konfrontation mit Sekten- und Weltanschauungsfragen. mehr erfahren