"Die große Nein-Tonne"
Präventionstheater
Mehr erfahrenIn Forschung und Literatur wird bei sexualisierter Gewalt nach primärer, sekundärer und tertiärer Prävention unterschieden.
Die primäre Prävention will flächendeckend im Vorfeld wirken, damit es gar nicht erst zu sexualisierten Übergriffen kommt. Das oberste Ziel ist also das Verhindern von sexualisierter Gewalt.
Die sekundäre Prävention ist der Intervention gleichzusetzen, da sie eine möglichst frühzeitige Aufdeckung und Beendigung von tatsächlich stattfindender sexualisierter Gewalt zum Ziel hat. Es geht hierbei sowohl um die Aufdeckung zurückliegender Missbrauchsfälle, als auch um die Aufdeckung, Benennung und Unterbindung von bestehenden, fortdauernden Missbrauchserlebnissen (=Intervention).
Die tertiäre Prävention ist untrennbar mit dem Begriff der Rehabilitation verbunden; hier geht es um die Minderung von Folgeschäden. Ziel der tertiären Prävention ist die Aufarbeitung von erlebten Gewalterfahrungen.
Die genannten Präventionsformen lassen sich jedoch selten voneinander trennen, häufig gehen sie ineinander über. Wenn mit Kindern und Jugendlichen präventiv im Sinne der Primärprävention gearbeitet wird, muss stets der Aspekt der sekundären Prävention berücksichtigt werden, da es durch vorbeugende Präventionsbemühungen zur Aufdeckung sexualisierter Gewalt kommen kann. (vgl. Koch/Kruck 1998, S.32f, ebenso Koch/Kruck 2000)
Prävention hat das Ziel, Mädchen und Jungen vor sexualisierter Gewalt zu schützen. Präventionsbemühungen können allerdings nicht unabhängig vom gesellschaftlichen Umfeld betrachtet werden, sondern Prävention ist als eine sozialpolitische Aufgabe zu verstehen, die sich auf die Verantwortung der Gesamtgesellschaft richtet (vgl. Marquardt-Mau in: Ulonska/ Koch 1997, S.90).
Präventionsarbeit darf sich also nicht ausschließlich auf die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beschränken, sondern muss möglichst umfassend auch Erwachsene und somit die breite Öffentlichkeit einbeziehen, damit sexualisierte Gewalt frühzeitig erkannt und gestoppt werden kann.
Präventive Arbeit bedeutet darüber hinaus, zu einer geschlechtsbewussten Pädagogik zu kommen, sich an den jeweiligen Ressourcen der Mädchen und Jungen zu orientieren und sich parteilich für sie einzusetzen.
Deshalb versteht sich präventive Arbeit nicht als Angebot, sondern als Erziehungshaltung und beinhaltet die Reflexion der eigenen Erziehungshaltung gegenüber dem Kind/ dem Jugendlichen.
Präventives Handeln setzt eine persönliche Qualifizierung voraus, d.h. eine Selbstreflexion der eigenen Geschlechter- und gegebenenfalls auch Berufsrolle. Da sexualisierte Gewalt vielschichtige Ursachenzusammenhänge hat (Multikausalität), müssen Präventionsmaßnahmen an verschiedenen Themen- und Lebensbereichen sowie Personengruppen ansetzen. (vgl. Zartbitter Münster e.V. 2001; Kruck-Homann 2012)
Es ist wichtig, dass Präventionsprogramme auf die Bedürfnisse, Wahrnehmungsgewohnheiten und Interpretationsmuster der jeweiligen Zielgruppe abgestimmt werden. Mädchen „stark zu machen“ ist gesellschaftlich durchaus anders konnotiert als Jungen „stark zu machen“.
Während Mädchen lernen sollen, sich zur Wehr zu setzen, geht von „starken“ Jungen die latente Gefahr aus, dass sie aufgrund ihrer körperlichen Kraft anderen Schaden zufügen. Während Mädchen lernen sollen, „Nein“ zu sagen, müssen Jungen oft erst ein Gespür für Situationen und die eigene Befindlichkeit entwickeln, um ein „Nein-Sagen-Szenario“ als solches zu identifizieren. Während „Hilfe holen“ von Mädchen als nützliche Verhaltensoption wahrgenommen werden kann, stellt diese für Jungen einen riskanten Verlust gefühlter Selbstwirksamkeit dar.
Diese – zugegebenermaßen etwas polarisierenden – Beispiele sollen verdeutlichen, dass Prävention nicht einfach Prävention ist, sondern in geschlechtshomogenen Settings zielgruppengerechte Botschaften vermitteln muss.
Marlene Kruck-Homann: Sexuelle Gewalt – Basiswissen, Prävention und Intervention. In: Schmidt, Sielert (Hrsg.): Sexualpädagogik in beruflichen Handlungsfeldern. Bildungsverlag EINS, 2012, S. 212-248.
Peter Mosser (2003): Die Beratungsstelle KIBS in München – Methodische Möglichkeiten im Umgang mit Schwellenängsten und Tabuisierungen. In: A. May & N. Remus (Hrsg.), Jungen und Männer als Opfer von (sexualisierter) Gewalt. Schriftenreihe gegen sexualisierte Gewalt, 5 (S. 187 – 212). Berlin: Verlag die Jonglerie.
Ja zum Nein. Unterrichts- materialien für die Grundschule zur Prävention von sexuellem Missbrauch (Hrsg: Petze Institut für Gewaltprävention)